Aussenpolitische Dämmerung in der Schweizer Klimapolitik *

Juerg Staudenmann
23 min readSep 28, 2021

Die Schweiz soll künftig ihre Treibhausgase über die gesamte globale Wertschöpfungskette reduzieren. Gleichzeitig will der Bundesrat das nationale Netto-null-Ziel bis 2050 nicht nur durch Massnahmen im Inland, sondern auch weiterhin über ausländische Emissionsreduktionszertifikate erfüllen. Die langfristige Klimastrategie zeigt Fortschritte im Verständnis der globalen Klimaverantwortung, klammert Klimafinanzierung und transnationale Klimarisiken hingegen noch immer aus. Die «Klimaaussenpolitik» der Schweiz weist nach wie vor Inkohärenzen und blinde Flecken auf.

* Dieser Beitrag erschien im September 2021 als Buchkapitel in: Manuela Specker, Caritas-Verlag 2021, S. 77–96.

Das Bundesamt für Statistik hat 2018 berechnet, dass durch internationale Flüge sowie Produktion und Transport von importierten Konsumgütern und Dienstleistungen über 60 Prozent der Schweizer Treibhausgasemissionen im Ausland entstehen.[1] Betrachtet man diesen «konsumbasierten Klimafussabdruck», der fast dem Dreifachen der Inlandemissionen entspricht, so liegt die Schweiz punkto Pro-Kopf-Emissionen in den Top Ten aller Länder weltweit.

Am 27. Januar 2021 verabschiedete der Bundesrat die «langfristige Klimastrategie 2050». Darin bekennt er sich zum Grundsatz für die Schweiz, die klimapolitische Verantwortung wahrzunehmen, und gelobt, fortan Emissionen nicht mehr nur im Inland, sondern über die gesamten Wertschöpfungsketten der Schweiz zu reduzieren.

Mit der am 13. Juni 2021 an der Urne abgelehnten Revision des CO2-Gesetzes wäre dafür ein neuer Klimafonds ins Leben gerufen worden. Mit den Einnahmen aus CO2-, Flugticket- und weiteren Klimaabgaben hätten unter anderem «Emissionsverminderungen im Ausland, die nicht an das [inländische Klima-]Ziel angerechnet werden», verursachergerecht finanziert werden können. Da vorgesehen war, dass diese «möglichst den von der Schweiz im Ausland mitverursachten Emissionen entsprechen»[2], handelte es sich gemäss Zahlen des Bundesamts für Statistik um derzeit rund 75 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid-Äquivalente (CO2eq) pro Jahr. Vor allem aber hätten aus dem Klimafonds (mit)finanzierte «Massnahmen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen im Ausland […] zusätzlich zur bestehenden Entwicklungszusammenarbeit eingesetzt werden, zusätzliche Wirkung erzielen und separat rapportiert werden» müssen. Und es hätten «aus den zweckgebundenen Mitteln des CO2-Gesetzes auch die bestehenden Kredite von SECO und DEZA für die internationale Zusammenarbeit aufgestockt werden» dürfen.[3]

Mit der letztlich knapp gescheiterten Vorlage sind Bund und Parlament einem jahrelangen Appell der Entwicklungsländer und der internationalen Zivilgesellschaft in zwei wesentlichen Punkten einen Schritt näher gekommen.[4] Zum einen forderte bereits die Klimarahmenkonvention von 1992, dass die Industrieländer «internationale Klimafinanzierung» in Form von zusätzlichen Geldern zwecks Unterstützung der ärmsten und von der Klimakrise besonders betroffenen Länder des globalen Südens bereitstellen. Bisher wurden die inzwischen auf rund 400 Millionen Franken angestiegenen Beiträge fast ausschliesslich aus den Rahmenkrediten der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) finanziert.[5] Zum anderen kommt die Unterstützung von Klimamassnahmen mit Mitteln aus Klima(lenkungs)abgaben statt aus der Entwicklungszusammenarbeit dem Gebot des Verursacherprinzips nach.

Dennoch ging das gescheiterte CO2-Gesetz nicht explizit auf die internationale Klimafinanzierung ein. Ebenso wenig tut dies die Langzeitstrategie. Der Bundesrat sieht nach wie vor die internationale Zusammenarbeit (IZA) in der alleinigen Verantwortung, die jährlich versprochenen 450 bis 600 Millionen Franken für Klimaschutz- und Anpassungsmassnahmen in Entwicklungsländern zu mobilisieren. Hier zeigen sich gleich zwei Diskrepanzen der jüngsten Klimapolitik. Zum einen die Inkohärenz, den Grundsatz einer global gedachten Gesamtverantwortung zwar in der nationalen Klimapolitik festzuschreiben, deren Finanzierung aber weiterhin zur Aufgabe der Aussenpolitik (DEZA und SECO) zu machen.

Zum anderen müsste, dem Bekenntnis zur globalen Klimaverantwortung entsprechend, der Beitrag an die 2015 in Paris vereinbarten jährlichen 100 Milliarden US-Dollar an Klimafinanzierung am nun explizit anerkannten, konsumbasierten Fussabdruck bemessen werden statt wie bisher am Treibhausgasinventar, das lediglich inländische Emissionen umfasst. Da die Schweiz direkt für rund 0,7 Prozent der Emissionen aller OECD-Länder verantwortlich ist und der Schweizer Finanzplatz indirekt ein Mehrfaches darüber hinaus finanziert, läge der faire und angemessene Anteil der Schweiz bei mindestens einer Milliarde Franken, wie Alliance Sud und die Klima-Allianz schon seit Jahren fordern.[6] Der Bezug der Schweizer Klimapolitik zum «Ausland» erscheint aber noch anderweitig inkohärent.

Zu hoffen bleibt nach dem Scheitern der jüngsten CO2-Gesetzesvorlage an der Urne, dass diese wichtigen Aspekte künftig im Sinne einer integralen Klimagesetzgebung miteinbezogen werden.

Das Netto-null-Ziel der Schweiz stützt sich aufs Ausland ab

Der Bundesrat erachtet es als «aus wissenschaftlicher Sicht zwingend»[7], die weltweiten Treibhausgasemissionen bis 2050 auf netto null zu bringen, und präzisiert, dass damit das «Gleichgewicht zwischen Emissionsquellen und -senken» gemeint ist. Das ebenfalls für die Schweiz beschlossene Netto-null-Ziel bis 2050 soll hingegen vereinfacht als «Treibhausgasneutralität» verstanden werden und sich lediglich auf «die Emissionen innerhalb der Schweizer Landesgrenzen (Territorial- bzw. Absatzprinzip)»[8] beziehen. Das bedeutet, dass die Schweiz ihre inländische Treibhausgasbilanz nicht selber ausgleichen will, sondern darauf setzt, dass andere Länder unter dem Strich netto negative Emissionsbilanzen erzielen und so nicht reduzierte Emissionen der Schweiz ausgleichen.

In der Tat wurde die Option des Abtauschs von Emissionsreduktionsfortschritten mittels Zertifikate im Pariser Klimaübereinkommen festgeschrieben. Obschon die Regeln dafür als einer der wenigen Punkte des legendären Abkommens noch immer nicht ausgehandelt sind, sah auch die Schweiz im gescheiterten CO2-Gesetz konkret vor, für das Halbierungsziel ihrer Inlandemissionen bis 2030 bis zu 34 Millionen Tonnen CO2eq im Ausland zu «kompensieren», anstatt im Inland zu reduzieren. Der Druck von Seiten der vom knappen Abstimmungssieg ermutigten Klimaschutzverzögerer, künftig Inlandziele noch mehr über Auslandzertifikate erfüllen zu wollen, wird eher noch steigen.

Angesichts der Erkenntnis, dass Emissionszertifikate im Rahmen des inzwischen ausgelaufenen Kyoto-Protokolls meistens zu keiner effektiven Verringerung von Treibhausgasen führten, fragt sich, wie legitim und zielführend dies ist. Durch den Mitnahmeeffekt wären nachweislich acht von zehn Energieprojekten auch ohne Fremdfinanzierung realisiert worden.[9] Selbst wenn neue Emissionen durch den Zubau von auf erneuerbaren Energien basierenden statt fossilen Kraftwerken verhindert werden können, führt das unter den Strich zu keiner Treibhausgasreduktion. Vor allem rechtfertigt es nicht angesichts der Dringlichkeit, den weltweiten Treibhausgasausstoss so rasch wie möglich zu senken, ihn dafür selber weniger reduzieren zu wollen.

Ferner stellt sich die grundlegende Frage, wie sinnvoll es ist, Mittel und Energie in ausländische Emissionsreduktionszertifikate zu stecken, anstatt damit die in Paris beschlossene, unausweichliche Dekarbonisierung der eigenen Energie- und Infrastruktur zu finanzieren. Auch wenn sich kurzfristig ein paar Milliarden einsparen lassen, da Auslandzertifikate — im Moment noch — günstiger sind als die Reduktion von Emissionen im Inland: Notwendige Investitionen in die eigene Dekarbonisierung lassen sich nicht vermeiden, höchstens vertagen. Selbst der Bundesrat rechnet mit einem baldigen Preisanstieg, da die «low hanging fruits» mit der Zeit geerntet und die «Gastländer» günstige Emissionsreduktionen zusehends selber nutzen werden, um die zunehmend strengeren Klimaziele zu erfüllen. Ob das Hinauszögern des Umbaus zusammen mit den kumulierten Zertifikatskosten unter dem Strich günstiger kommen wird, steht also in den Sternen.

Das Abschieben von Klimaschutzmassnahmen ins Ausland birgt zudem das Risiko des Kontrollverlusts (Scheinerfolge, Korruption oder Missbrauch). Nicht zuletzt sendet die Schweiz mit ihrem Ansatz, bis zu einem Viertel der angepeilten Klimaziele nicht durch Dekarbonisierung selbst erreichen zu wollen oder zu können, auch kontraproduktive Signale aus: Im Sinne von «Wenn nicht mal die reiche Schweiz das schafft» taucht die verständliche Frage auf, wieso Länder ohne vergleichbares Know-how und ähnliche Finanzstärke besser in der Lage sein sollen, ihre Emissionen effektiv zu senken.

Die Vertagung notwendiger Investitionen birgt eine Reihe weiterer Risiken und Nebenwirkungen. Bekannt ist der Rebound-Effekt, der besagt, dass «Kompensation» im Glauben, «klimaneutral» zu sein, psychologisch dazu verleitet, klimaschädliches Verhalten gar zu verstärken. Die verzögerte Umstellung auf erneuerbare Energien in den Bereichen Mobilität, Gebäude und Industrie verringert auch den zeitlichen Handlungsspielraum und vergibt die Chance, durch Effizienz oder niedrigere (weil abgabenbefreite) Energiekosten Kosten einzusparen, oder «Co-Benefits» wie verbesserte Luftqualität oder Lärmverringerung zu erzielen. Wird veraltete Infrastruktur durch herkömmliche ersetzt, drohen Technologie-«Lock-ins» und «stranded assets»: Investitionen in langlebige, aber veraltete Technologie, die einen Umstieg nochmals um Jahre hinausschieben oder vorzeitige Abschreibungen zur Folge haben. Nicht zuletzt sind Offsets «Ausweichmanöver», die sich oft als Innovations- und wirtschaftliche Bremsen (Verschlafen von technischen Fortschritten) entpuppen.

Ausländische Senken für Schweizer Emissionen?

Der IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) hat in seinem Sonderbericht zum 1,5-Grad-Ziel verschiedene Lösungsansätze modelliert. Da sich das Fenster mit jedem Jahr weiter schliesst, dass die Weltgemeinschaft rechtzeitig auf einen genügend ambitionierten Treibhausgas-Absenkpfad einschwenkt (siehe dazu den Beitrag von Georg Klingler Heiligtag, S. 63ff.), um die Erderhitzung auf 1,5 °C zu begrenzen, wurde in vielen Szenarien auch eine theoretische Abscheidung von einigen hundert Milliarden Tonnen an Kohlenstoff aus der Atmosphäre mit eingerechnet.[10] Technische Ansätze, die atmosphärisches CO2 absorbieren und in geologisch sicheren «Endlagern entsorgen» sollen, stecken aber noch in den Kinderschuhen.

Ob sich die derzeit teilweise exorbitanten Preise für die sichere und dauerhafte Speicherung von CO2 in natürlichen oder künstlichen Treibhausgassenken dereinst auf einem Niveau einpendeln werden, das mit der direkten Reduktion von Emissionen vergleichbar ist, bleibt vorderhand Spekulation. Zudem werden die IPCC-Modellierungen oft fälschlicherweise als A-priori-Legitimation von Negativemissionstechnologien (NET) durch den IPCC und als Blankocheck für die Kompensation von verfehlten Emissionsreduktionen mit Negativemissionen ausgelegt. Die Kernaussage des Berichts von 2018 ist hingegen, dass die Erderhitzung nach wie vor auf 1,5 °C begrenzt werden kann, falls die Staatengemeinschaft sofort und rasch genug den Eintrag von (fossilen) Treibhausgasen in die Atmosphäre stoppt. Falls sie dies nicht tut, wird die Menschheit früher oder später auf zusätzliche, derzeit unausgereifte NET zurückgreifen müssen, um auch die CO2-Bilanz aus der Verbrennung fossiler Energien zu verbessern.

Gemäss der Science-Based Target Initiative müssen «wissenschaftsbasierte Netto-null-Ziele, die mit den Ambitionen des Pariser Abkommens in Einklang stehen» [11], sowohl darauf abzielen, fossile Emissionen in der gesamten Wertschöpfungskette effektiv und rasch genug zu senken («deep decarbonization») — angesichts des geschätzten Restbudgets also um 3 bis 4 Prozent pro Jahr — als auch sämtliche nicht vermeidbaren (Rest-)Emissionen durch den Entzug und die dauerhafte Speicherung einer gleichwertigen Menge an CO2eq ausserhalb der Atmosphäre zu neutralisieren.

Für die Schweiz rechnet der Bundesrat trotz «möglichst vollständiger Reduktion von Treibhausgasemissionen aus fossilen Energien» selbst 2050 noch mit Restemissionen aus inländischer Landwirtschaft (ca. 4,1 Megatonnen (Mt) CO2eq/Jahr), Kehrichtverbrennungen (3–3,5 Mt CO2eq/Jahr) und der Zementproduktion (2 Mt CO2eq/Jahr)[12]. Da das Senkenpotenzial im Inland auf nur 2 Mt CO2eq/Jahr geschätzt wird[13], soll ein Grossteil davon in ausländischen Senken ausgeglichen werden.

Die Frage ist, mit welchen Mitteln dies geschehen soll. Auf den ersten Blick scheinen sogenannte «nature-based solutions» im Vorteil. Pflanzen speichern quasi nur mit Sonnenlicht «gratis» CO2 aus der Luft. Technische Anlagen zur Sequestrierung und geologischen Einlagerung von Kohlenstoff hingegen sind auf spezialisiertes Know-how, Energie und Ressourcen angewiesen. In jüngster Zeit mehren sich denn auch Netto-null-Bekenntnisse von Staaten, Städten und vielen privaten Unternehmen. Bereits wollen über 1100 multinationale Unternehmen, darunter Giganten wie Nestlé, Microsoft und sogar Shell, ihre (teils historisch akkumulierten) Emissionen durch Waldschutzprojekte oder Pflanzung von Bäumen rückgängig machen. Kampagnen wie die Trillion-Tree-Campaign oder jene des World Economic Forum (WEF) werfen die unmittelbare Frage auf: «Wohin mit den Billionen von zusätzlichen Bäumen?» Auch Fragen nach der Legitimität und Wirksamkeit solcher Giga-Vorhaben gegen die Klimakrise drängen sich auf.

Taugen biologische Senken zur Kohlenstoffspeicherung?

Dem weltweiten Erhalt von (insbesondere Ur-)Wäldern und Feuchtgebieten muss unbestrittener Weise eine hohe Priorität eingeräumt werden; nicht nur zur Arterhaltung und Stabilisierung der ökologischen Resilienz, sondern auch, um beträchtliche Mengen an zusätzlichen Treibhausgasemissionen zu verhindern. Um Kohlenstoff effektiv wieder aus der Atmosphäre zu entfernen, muss allerdings zusätzliche Biomasse aufgebaut oder die organische Substanz in Böden angereichert werden. Einzig (Wieder-)Aufforstung und das Wiedereinstauen trockengelegter Moorlandschaften bergen das Potenzial von Netto-CO2-Senken.

Wiederaufforstung ehemals bewaldeter Gebiete ist aus Umweltsicht vorderhand sinnvoll, hat die Menschheit doch seit Beginn des Ackerbaus etwa die Hälfte der ursprünglich sechs Billionen Bäume weltweit gefällt.[14] Voraussetzung muss allerdings sein, dass sowohl auf angepasste Arten gesetzt wird als auch die Menschenrechte, Sozial- und Umweltkriterien strikt eingehalten werden (siehe folgendes Kapitel).

Die Idee, atmosphärischen Kohlenstoff mittels Baumplantagen zu fixieren, hat allerdings schon rein physikalische Grenzen: Weltweit lassen sich schätzungsweise höchstens 150 bis 370 Gigatonnen (Gt) atmosphärisches CO2 als «stehende Biomasse» in Stämmen, Wurzeln und Böden speichern.[15] Es würde zudem Jahrzehnte dauern, bis die Bäume ausgewachsen wären und diese Menge absorbiert hätten. Der «Biomassespeicher» der Erde bietet also höchstens für knapp zehn Gigatonnen der heutigen Jahresweltemissionen (von knapp 40 Gt CO2eq) Platz. Mit Blick auf die Ursachenbekämpfung und das Vorsorgeprinzip wird schon klar, dass biologische Speicher nicht als Kompensation für (meist viel einfacher) vermeidbare Treibhausgasemissionen gefüllt werden dürfen.

Biologische Senken sind aber vor allem auch unsicher — Stichwort Waldbrände, erneute Rodung oder Übernutzung und damit Erosion von organischen Böden. Zudem zeigen neuere Studien, dass die landläufige Meinung, die globale Erwärmung und die erhöhte CO2-Konzentration würden die biologische Fixierung von CO2 beschleunigen, nicht stimmt. Die durch die fortschreitende Klimaveränderung gesteigerten Zersetzungsprozesse verringern die «biologische Senkenkapazität» der Erde unter dem Strich.

Oft wird daher der Ansatz der «Bioenergie mit CO2-Abscheidung und Speicherung» (BECCS) propagiert, bei dem Biomasse zwecks Energienutzung bei gleichzeitiger Abscheidung der CO2-Abgase verwertet wird. Um Effizienz zu gewährleisten, wird dabei auf gedüngte und oft auch bewässerte Monokulturen mit schnell wachsenden Arten (wie Zuckerrohr für Bioethanol oder Palmöl für Biodiesel) gesetzt. Und weil solche (Mono-)Kulturen viel anfälliger auf Schädlingsbefall und Umwelteinflüsse sind als natürlich nachwachsende Wälder, die dem Ökosystem Zeit lassen, sich zu stabilisieren, oft auch Pestizide. Die nachteiligen Auswirkungen auf die Artenvielfalt müssen hier nicht extra thematisiert werden. Da gerade in frisch angelegten Plantagen oft auch die Böden beeinträchtigt sind, wird eine vermeintliche Senke zudem unter dem Strich schnell einmal zur Nettoquelle von Treibhausgasen.

Da der IPCC im 1,5-Grad-Sonderbericht in gewissen Szenarien eine (theoretische) Fixierung von bis zu 22,5 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr mittels BECCS durchgespielt hat, berechnete das Grantham Institute 2019[16], dass dies rein flächenmässig bis zu 1,2 Milliarden Hektaren Land benötigen würde. Das sind 80 Prozent aller derzeit bewirtschafteten Ackerflächen weltweit. Die potenziellen Zielkonflikte mit der Ernährungssicherheit sind offensichtlich. Wenn stattdessen natürliche Wälder durch bewirtschaftete «Energie-Wälder» ersetzt werden sollen, wird nicht nur die ökologische, sondern auch die globale Klimastabilität insgesamt gefährdet (Stichwort «Kippeffekte»).

«Our nature is not your climate solution!»

Entwicklungspolitisch betreffen die wichtigsten Fragen bei «nature-based»-Lösungsansätzen den Bedarf an Land, Wasser (und, bei Plantagen, auch den Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln). Aufforstungsvorhaben stehen oft in direkter Konkurrenz zur lokalen Nahrungsmittelproduktion. Dazu kommen sozioökonomische, ethische und insbesondere Fragen des Landbesitzes oder der Nutzungsrechte, insbesondere jener von Minderheiten, marginalisierten oder indigenen Bevölkerungen («land grabbing»).[17]

Aus inländischen Platz- und (vermeintlichen) Kosteneffizienzgründen Ländereien und Ökosysteme in meist bereits klimafragilen Entwicklungsländern zur «Entsorgung» unseres Kohlenstoffüberschusses in Betracht zu ziehen, rückt auch moralische Fragen in den Vordergrund.[18] Sollen sich vermögende Länder vom Imperativ zur Verringerung des eigenen Fussabdrucks freikaufen und die in Paris 2015 beschlossene Pflicht, gemeinsam den weltweiten Treibhausgasausstoss raschmöglichst zu reduzieren, gegen Bezahlung auf Entwicklungsländer abwälzen dürfen?

Selbst wenn, wie gerne ins Feld geführt wird, pro Franken mehr Treibhausgase in fernen Ländern reduziert werden könn(t)en: Ist es ethisch vertretbar, dass reiche Länder wie die Schweiz für die «Entsorgung» ihrer Emissionen einfach bezahlen dürfen, um so nichts an ihrem klimaschädlichen Lebensstil ändern zu müssen? Können (Klima-)Probleme auf Basis einer derart einseitigen Machtverteilung überhaupt gelöst werden?

Eine Klimaaktivistin der Global Forest Coalition brachte es mit den Worten auf den Punkt: «Unsere Natur ist nicht eure Klimalösung!»

«Kompensation» neu denken

Auch wenn das Pariser Klimaübereinkommen die Möglichkeit vorsieht, dass Vertragsstaaten Klimaschutzanstrengungen untereinander tauschen dürfen, braucht es ein Umdenken betreffend «Kompensation». Die Verheissung aus der Ära des ausgelaufenen Kyoto-Protokolls, dass keine Verschlechterung für die Atmosphäre entsteht, weil der Atmosphäreneintrag des Verursachers über den Kauf von entsprechenden Zertifikaten durch gleichwertige Emissionsreduktionen an einem anderen Ort ausgeglichen wird, sieht selbst das «Gold Standard»-Label als mit dem Wesen und den Zielen des Pariser Klimaübereinkommens nicht mehr vereinbar.[19]

Statt mit Auslandmassnahmen die CO2-Bilanz buchhalterisch aufzubessern, muss der Fokus auf «Kompensation» im Sinne einer Entschädigung für dadurch mitverschuldete negative Auswirkungen gerichtet werden. Verfehlungen von Emissionsreduktionszielen können durch «Kompensation» nicht ungeschehen gemacht werden, sondern verschärfen die Klimakrise weiter. Daher ist es angebracht, statt zu «Kompensation» nicht eliminierter Emissionen entsprechende Beiträge an die Vorbeugung und Behebung von Schäden und Verlusten durch die mitverschuldete Klimakrise zu leisten.

Mit anderen Worten: Anstatt in ausländische Emissionsverminderung zu investieren mit der Absicht, Massnahmen im Inland zu umgehen, sollten dieselben Mittel als internationale Klimafinanzierung zur Verfügung gestellt und zusammen mit den verfehlten Reduktionen transparent als Beiträge zur Schadensminderung rapportiert werden. Dadurch könnte insbesondere die chronisch unterfinanzierte Anpassungsfinanzierung aufgestockt werden, um die mitverschuldeten Folgen der fortschreitenden Klimakrise von Menschen in den ärmsten und von der Klimaveränderung am meisten betroffenen Ländern des globalen Südens abzufedern.

Dies entspricht auch der modernen Rechtsauffassung zur Bewältigung der Klimakrise: In einem verfassungsrechtlichen Gutachten aus dem Jahr 2019 kamen Ursula Brunner et al.[20] zum Schluss, dass sich Klimaschutz im Sinn und Geist des Pariser Klimaübereinkommens nicht auf Emissionsverminderung beschränken kann. Da die Klimaveränderung zunehmend sicht- und spürbare Auswirkungen hat, müssen nachhaltige Massnahmen zur Schadensbegrenzung (Adaptation) und zum Schutz der am stärksten betroffenen Bevölkerung (Resilienz) als integraler Teil des «Klimaschutz» begriffen werden.

Ein solches erweitertes Verständnis von «Kompensation» zügelt auch die Versuchung, sich von der Pflicht der Emissionsverringerung freizukaufen. Stattdessen würde «Kompensation» als zusätzliches Instrument zur verursachergerechten Bewältigung der Klimakrise betrachtet– als Hilfe der Verursacher für die Betroffenen beziehungsweise Leidtragenden.

Energieprojekte in Entwicklungsländern verringern nur selten Emissionen

Das oft vorgebrachte Argument, dass der internationale Kohlenstoffmarkt Innovation in Entwicklungsländern fördern und so die weltweite Emissionsreduktion beschleunigen kann, erscheint unter gewissen Voraussetzungen plausibel. Auch, dass dadurch in Entwicklungsländern viel Gutes bewirkt werden kann. Doch erstens rechtfertigt dies nicht, sich von der Pflicht der Elimination der eigenen Treibhausgase befreien zu wollen. Und zweitens müssen die Ziele des Klimaschutzes und jene der Entwicklungszusammenarbeit klar voneinander unterschieden werden. Fatal wäre, die Reduktion des ökologischen Fussabdrucks unter dem Etikett und auf Kosten Letzterer auszulagern.

Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit finanzierte Energieprojekte sind im Sinne von Sustainable Development Goal (SDG) 7 ausgelegt auf Verringerung sozialer Benachteiligung und Fortschritte in Bereichen wie Bildung und Gesundheit oder Gleichstellung von Frau und Mann. Einen direkten Beitrag an die globale Dekarbonisierung leisten solche Projekte aber nur, wenn sie auch mit der Stilllegung fossiler Kraftwerke einher gehen.

Mit anderen Worten: Projekte zur Förderung des Zugangs der Bevölkerung zu (erneuerbarer) Energieversorgung in Entwicklungsländern sind in den seltensten Fällen auch Klimaschutzprojekte im Sinne des Pariser Klimaübereinkommens. Alliance Sud hat mehrfach darauf hingewiesen, dass für «Klimaprojekte» eingesetzte EZA-Gelder oft irreführenderweise doppelt geltend gemacht werden, sowohl als Entwicklungshilfe als auch als internationale Klimafinanzierung.[21] Die Bekämpfung von Armut und Ungleichheit auf der einen und die Eindämmung der Klimakrise auf der anderen Seite sind zwei sich zwar ergänzende, aber separat und gleichzeitig zu erfüllende internationale Verpflichtungen. Synergien sind möglich, aber nicht von Vornherein gegeben. Die Schweiz hat sich wie andere Geberstaaten dazu verpflichtet, sowohl 0,7 Prozent ihres bruttonationalen Einkommens für Entwicklungszusammenarbeit einzusetzen, als auch neue und zusätzliche Finanzmittel zu mobilisieren, um einen fairen Beitrag an die in Paris auf mindestens 100 Milliarden US-Dollar festgelegte internationale Klimafinanzierung zu leisten.

Die Unterscheidung von Klimaschutz- und Entwicklungsmassnahmen kann anhand des Forschungs-Joint-Ventures der DEZA mit dem Privatsektor und der École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) illustriert werden. Ein neuartiger (LC3) Zement[22], der in Indien, Kuba, Thailand, China und Brasilien produziert und getestet wird, soll die CO2-Emissionen bei der Klinkerherstellung um 10 bis 30 Prozent verringern (siehe dazu den Beitrag von Janine Kuriger und Kathrin Fuchs, S. 193ff.). Beim Klimaschutz werden damit ohne Zweifel wichtige Fortschritte erzielt. Es fragt sich allerdings, worin der unmittelbare Zusatznutzen für die Ärmsten vor Ort liegt, der den Einsatz von bisher 11,7 Millionen Franken aus den Rahmenkrediten für Entwicklungszusammenarbeit rechtfertigen würde.

Der gescheiterte Klimafonds bot die Chance, solche industriellen Forschungsvorhaben im Klimabereich fortan ausserhalb der Entwicklungszusammenarbeit zu finanzieren. Trotz des Rückschlags sollte die Zuständigkeit und Rollenverteilung zwischen der DEZA und anderen Akteuren in Bezug auf Klimaprojekte im Ausland überdacht werden. Das gilt auch für das geplante BAFU-Pilotprojekt in den peruanischen Anden, das im Rahmen der seit 2020 abgeschlossenen bilateralen Abkommen zur Treibhausgaskompensation geplant ist. Hier stellen sich ähnliche konzeptionelle Fragen, aber im umgekehrten Sinn. So sollen 200 000 effiziente Holzöfen verteilt werden, «um den Verbrauch von Brennholz zu senken»[23]. Ziel dieses von der Vereinigung der Brenn- und Treibstoffimporteure zu finanzierenden Vorhabens ist es, den Druck auf die Wälder zu reduzieren und dadurch Treibhausgase, die durch den Import und die Inverkehrsetzung fossiler Energien entstehen, auszugleichen. Das Vorhaben wird Fortschritte für jene peruanischen Frauen und Kinder bringen, die nicht mehr in verrauchten Küchen ihre Gesundheit ruinieren müssen; hat also durchaus entwicklungspolitisches Potential. Ob die Schonung der Wälder aber tatsächlich Emissionen verhindert oder dadurch gar CO2 aus der Atmosphäre in neuer Biomasse gespeichert werden kann, wird schwierig nachzuprüfen sein. Und folglich ebenso, wie viele Tonnen inländische Treibhausgase sich so «kompensieren» lassen.

Umfassende und detaillierte Ausschlusskriterien für Klima(schutz)projekte im Ausland nötig

Die Einsicht, dass Entwicklungs- und Energieprojekte — auch wenn sie zu hundert Prozent klimakompatibel sind — nur selten einen Beitrag an die Ziele des Pariser Klimaübereinkommens leisten, fand letztlich auch Eingang in den Entwurf der Verordnung zum verworfenen CO2-Gesetz. So sollten Windkraft-, Solar- oder grosse Wasserkraftanlagen in Entwicklungsländern zwar unter gewissen Voraussetzungen kofinanziert, nicht aber zur Kompensation (nicht reduzierter) Inlandemissionen akzeptiert werden — mit Ausnahme von Projekten mit erneuerbaren Energien in den am wenigsten entwickelten Ländern, den Least Developed Countries (LDC).

Begrüssenswert ist ferner, dass der Bundesrat «die Reduktion von Entwaldung oder der Degradierung von Wäldern» sowie «Projekte zur biologischen CO2-Sequestrierung» grundsätzlich nicht als mögliche Ausland-Kompensationsprojekte erachtete.[24] Bemerkenswerterweise wäre damit auch jenes Holzofen-Waldschutzpilotprojekt in den peruanischen Anden infrage gestellt. Kategorisch von der Mitfinanzierung ausschliessen wollte der Bundesrat auch Emissionsverminderungs- oder CO2-Speicherprojekte, wenn sie im Widerspruch zu (von der Schweiz ratifizierten) Umwelt- und Menschenrechtsübereinkommen stehen, der Aussen- und Entwicklungspolitik zuwiderlaufen oder «erhebliche negative soziale oder ökologische Auswirkungen haben»[25].

Solche Ausschlusskriterien stellen einen zukunftsweisenden Ansatz und Fortschritt gegenüber der bisherigen Praxis dar. Dennoch bleibt ein gewisser Interpretationsspielraum. Zudem unterbindet die Nichtanrechnung an nationale Klimaziele nicht grundsätzlich, dass dennoch mit solchen Kriterien unvereinbare Projekte aus Schweizer Geldern finanziert werden, beispielsweise über den freiwilligen Kompensationsmarkt. Im Sinne einer globalverantwortlichen Klimapolitik müssen universale Kriterien erarbeitet werden, um im Einzelfall zu klären, ob spezifische (Ausland-)Massnahmen effektiv nützen oder schaden und wer davon profitiert oder in Mitleidenschaft gezogen wird. Dabei dürfen klimatechnische Gesichtspunkte nicht über soziale, ethische und entwicklungspolitische Grundsätze gestellt werden. Die Rechte und Ansprüche der lokalen Bevölkerung müssen im Vordergrund stehen, insbesondere jene von indigenen und kleinbäuerlichen sowie marginalisierten und benachteiligten Bevölkerungsgruppen. Für Interventionen mit dem Ziel, ausserhalb der Landesgrenzen CO2 aus der Atmosphäre zu speichern, müssen an den Entwurf des Bundes anschliessende, auf die «Agenda 2030» ausgerichtete, detaillierte Kriterien erarbeitet und durchgesetzt werden.

Transnationale Klimasicherheit noch kein Thema in der Klimapolitik

Eine global verstandene Klimaverantwortung kann sich nicht auf die Eliminierung von Treibhausgasen entlang Wertschöpfungs- und Konsumketten einerseits und die Abfederung direkter Auswirkungen der Klimakrise auf Bevölkerung, Infrastruktur und die natürliche Umwelt andererseits beschränken. Die Klimaveränderung birgt auch indirekte Gefahren und wirkt als Verstärker verschiedener Risiken menschlicher Sicherheit.

Der Themenkomplex der sogenannten «Klimasicherheit» ist in der Schweiz ein noch wenig beachtetes Feld. Im Sinne einer integralen Risiko- und Sicherheitsbetrachtung fokussiert beispielsweise das Internationale Friedensforschungsinstitut in Stockholm (SIPRI) auf vier sich wechselseitig bedingende «Wirkungspfade» in der inner- und zwischenstaatlichen Friedens- und Sicherheitspolitik. [26] Zuerst einmal beeinflussen und verstärken sich Klimaveränderung und Konfliktpotenziale gegenseitig, mit Auswirkungen auf Existenzgrundlagen (Wasser-, Ernährungs- und Einkommenssicherheit, direkte gesundheitliche Aspekte inklusive Zoonosen, Schutz von Infrastruktur und Bauten gegen schleichende und Extremereignisse usw.). Migration und Mobilität, inklusive Flucht aufgrund klimainduzierter Hungersnöte oder Vertreibung, stellen ein zweites Problemfeld dar. Dazu kommen bewaffnete Gruppendynamiken — Verstärkung von Konflikten wegen verknappter Ressourcen, Ausnützung von Notsituationen für Rekrutierungen usw. Nicht zuletzt wird auch regelmässig die Ausbeutung durch Eliten beobachtet (Ausschluss armer, marginalisierter Bevölkerungsgruppen vom Zugang zu Ressourcen wie Boden, Energie und Wasser).

Einen wichtigen Einfluss auf die (menschliche) Sicherheit übt die Klimaveränderung auf die Agrarproduktivität und das globale Ernährungssystem aus. Mit den klimatologischen Verschiebungen verändern oder verlagern sich auch Schwerpunktregionen vieler Agrarerzeugnisse. So kann sich etwa der Weizen- oder Kakaoanbau allmählich über Landesgrenzen hinweg verschieben, was konfliktträchtig ist.

Auch die gegenseitigen Auswirkungen zwischen der Klimaveränderung und Handel, (Aussen-)Wirtschaft sowie der globalen Finanzbranche gewinnen schnell an Bedeutung. Die global stark vernetzte Schweiz ist besonders anfällig auf klimabedingte Veränderungen im Ausland (Beschaffungs- und Absatzmärkte). Gütern wie Kaffee oder Kakao, die grossteils über Schweizer Firmen gehandelt werden, wird eine klimabedingte Produktivitätseinbusse bis zu 50 Prozent bis Ende des Jahrhunderts prognostiziert.[27] Disruptionen in globalen Handels- und Transportketten, wie wir sie in der Covid-19-Pandemie quasi im Zeitraffer erlebten, werden zunehmend auch als Folge der Klimaveränderung erwartet.

Gleichzeitig werden neue Klimaschutzzölle diskutiert, die das bisherige Paradigma des Freihandels und der Zollbefreiung von Entwicklungsländern infrage stellen. Durch Importvorschriften oder ein «border-tax adjustment» (BTA), also eine Klimaabgabe auf importierte Güter, soll die internationale Nachfrage klimafreundlicher werden. Klimaschutz durch künstliche Verteuerung von klimaschädlichen Importgütern (und Dienstleistungen) bedroht jedoch ausgerechnet die Existenzgrundlage jener Plantagenarbeiter und Kleinbäuerinnen, die bereits unverschuldet von der multiplen Krise betroffen sind. Analog zur Rückverteilung von Lenkungsabgaben an Bevölkerung und Unternehmen, um die Belastung sozial benachteiligter Menschen auszugleichen (siehe dazu den Beitrag von Ion Karagounis, S. 97ff.), könnten auch BTA-Einnahmen zur Abfederung von kurzfristigen Einnahmeausfällen und Umstellungskosten der betroffenen Produzenten in Ländern des Südens eingesetzt werden.

Ein weiterer wichtiger Aspekt sind die Klimarisiken in der Energieversorgung. Hier entpuppt sich ein rascher Umstieg auf erneuerbare Energiequellen nebst dem angestrebten Klimaschutz auch als ökonomisch sinnvoll. Die jährlich bis zu 8 Milliarden Franken für den derzeitigen Import von fossilen Brenn- und Treibstoffen würden für den Ausbau einer klimaverträglichen inländischen Energieinfrastruktur frei. Darüber hinaus sichert der Umstieg auf inländische Energien die nationale Energieversorgung. Dezentrale Solar- und Windanlagen stärken die Resilienz gegenüber externen und auch klimatologischen Schocks und Risiken. Im Gegenzug drohen mit dem Ausstieg aus fossilen Energieträgern neue geopolitische Verwerfungen.

Aber auch die Klimaveränderung selber führt zu geopolitischen Spannungen. Das zeigt zum Beispiel der Wettlauf um Territorialansprüche und vermutete Bodenschätze in der auftauenden Arktis. Auch künftige Negativemissionsprojekte weisen erhebliches Konfliktpotenzial auf, zumal wenn zunehmend Ländereien für Ausgleichsmassnahmen beansprucht werden oder die Petro-Riesen ehemalige Erdöl- und Gaslagerstätten zwecks Speicherung von CO2 aus der Atmosphäre umrüsten wollen.

Potentiale einer pro-aktiven Klimadiplomatie

Eine verantwortungsvolle und zielführende Klima- und Aussenpolitik setzt auch aktive, umfassende und kohärente Klimadiplomatie voraus. Bisher setzt sich die Schweiz vor allem im Rahmen der UNO-Klimaverhandlungen und einiger klimaspezifischer Fonds und Programme für eine stringente, hauptsächlich auf Emissionsminderung und transparente Berichterstattung fokussierte Klimapolitik ein. Das ist gut, aber die anderen Themenbereiche sollten dabei im Sinne einer ganzheitlichen «Klimaaussenpolitik» nicht vergessen gehen.

Ein nicht zu vernachlässigendes Potenzial schlummert schliesslich ausserhalb der spezifischen internationalen Klimadebatte. Über diverse weitere multi- und bilateralen Abkommen, den Einsitz in Steuerungsgremien der Weltbank, anderer Entwicklungsbanken und in Programmen oder Fonds, sowie über die Teilnahme an internationalen Foren muss die Schweiz eine koordinierte und kohärente, auf die Entschärfung der sich zuspitzenden globalen Klimakrise ausgerichtete Politik betreiben und fördern. — Das zahlt sich schliesslich auch ökonomisch aus: Der Bund rechnet bis 2050 mit klimanotwendigen Investitionen von jährlich etwa 1,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts — vorausgesetzt, eine weltweite Absenkung der Emissionen auf netto null gelingt. Falls nicht, würden sich die Kosten insbesondere zunehmender Klimaschäden auf 4 Prozent mehr als verdoppeln. Der «volkswirtschaftliche Nutzen» einer erfolgreichen internationalen Klimadiplomatie kann also mittelfristig zu jährlichen Einsparungen von Dutzenden von Milliarden Franken führen.

Fazit

Die jüngsten Ansätze in der nationalen Klimapolitik weisen Fortschritte im Verständnis der globalen Verantwortung und entsprechender Emissionsreduktion auf. Aussenpolitisch betrachtet bestehen hingegen nach wie vor blinde Flecken und Inkohärenzen. Die Ablehnung der jüngsten CO2-Gesetzesvorlage an der Urne nährt trotz Rückschritten die Hoffnung, folgende sozial- und entwicklungspolitischen Aspekte in die künftige Klimagesetzgebung zu integrieren.

  • Klimaverantwortung muss global umfassend verstanden und konsequent umgesetzt werden. Die Reduktion der Emissionen, die Abfederung der Auswirkungen und die verursachergerechte Unterstützung der am stärksten von der Klimakrise Betroffenen dürfen nicht an den Landesgrenzen enden.
  • Der Ausgleich von Inlandemissionen in Treibhausgas-Senken ausserhalb der Landesgrenzen kommt nur für nichtfossile Emissionen in Betracht. «Negativemissionsprojekte» müssen zwingend einen Nettonutzen sowie einen sozialen und ökologischen Mehrwert für die betroffene Bevölkerung und das lokale Ökosystem aufweisen. Um dies zu gewährleisten, sind detaillierte Ausschlusskriterien zu erarbeiten und universell durchzusetzen.
  • Beiträge an die internationale Klimafinanzierung müssen im Einklang mit den Grundsätzen der langfristigen Klimastrategie 2050 am gesamten Klimafussabdruck der Schweiz bemessen, gemäss dem Verursacherprinzip auf mindesten 1 Milliarde Franken aufgestockt und als integraler Bestandteil in der künftigen Klimagesetzgebung verankert werden. Die Mithaftung für Schäden und Verluste in klimageschädigten Regionen des globalen Südens muss als Teil der globalen Klimaverantwortung anerkannt werden.
  • «Kompensation» muss neu gedacht werden. Die Lösung eigener Klimaprobleme lässt sich nicht verlagern. Nicht die reduzierbaren Treibhausgasemissionen, sondern deren negative Auswirkungen auf unverschuldet davon Betroffene müssen «kompensiert» werden.
  • Fragen transnationaler Klimarisiken und der Klimasicherheit müssen aktiv angegangen werden. Diesbezügliche Lücken in der Klima-, Handels-, (Aussen-)Wirtschafts- und Aussenpolitik sind zu schliessen. Dazu gehören auch Aspekte inner- und transnationaler Friedens- und Sicherheitspolitik sowie eine aktive, transdisziplinäre Klimadiplomatie.
  • Rollen und Zuständigkeiten der verschiedenen Bundesstellen und weiterer Akteure in der internationalen Klimapolitik bedürfen der Klärung und verbesserter Kohärenz.
  • Eine verantwortungsvolle, global gerechte Klimapolitik muss nebst dem Pariser Klimaübereinkommen als Grundlage die universellen Menschenrechte sowie die «Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung» als gleichberechtigte Leiplanken anerkennen.

Weil das Ausland eine mannigfache und zunehmend wichtige Rolle in der Schweizer Klimapolitik spielt, sollte die Formulierung einer eigenständigen, departementsübergreifenden «Klimaaussenpolitik» erwogen werden, sei es in Form einer klimaaussenpolitischen Strategie oder als integraler Bestandteil der Schweizer Aussen- oder Sicherheitspolitik.

Jürg Staudenmann hat bis Ende April das Dossier «Internationale Klima- und Umweltpolitik» bei Alliance Sud geleitet. Der Umweltexperte ETH/NADEL ist gegenwärtig ans Internationale Friedensforschungsinstitut in Stockholm (SIPRI) entsandt.

Referenzen

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Bundesrat (27.1.2021): Langfristige Klimastrategie der Schweiz bis 2050. URL: bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/klima/fachinformationen/emissionsverminderung/verminderungsziele/ziel-2050/klimastrategie-2050.html (26.5.2021).

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Staudenmann Jürg: Klimagerechtigkeit und internationale Klimafinanzierung aus entwicklungspolitischer Perspektive. Positionspapier von Alliance Sud, September 2019. URL: alliancesud.ch/de/politik/klima-und-umwelt/klimapolitik-und-finanzierung/klimafrage-nicht-gegen-entwicklung-ausspielen (26.5.2021).

[1] Bundesamt für Statistik, 2018.

[2] CO2-Gesetz (Schlussabstimmungstext vom 25. September 2020), Art. 3.3.

[3] Erläuternder Bericht zur CO2-Verordnung (14. April 2021), S. 14.

[4] Siehe z.B. ActAlliance EU, 2021.

[5] Zur Frage, wieso dadurch die herkömmliche Entwicklungszusammenarbeit untergraben wird, siehe Staudenmann, 2019, und Lottje, 2020.

[6] Staudenmann, 2019.

[7] Bundesrat, 2021, S. 15.

[8] Ebd., S. 13–14.

[9] Siehe z.B. Oeko-Institut, 2016, oder Carbon-Market Watch, 2018.

[10] IPCC, 2018.

[11] Science-Based Target Initiative, 2021.

[12] Bundesrat, 2020, S. 6.

[13] Beuttler et al., 2019.

[14] Siehe z.B. James Dyke in: The Conversation (2015). URL: theconversation.com/three-trillion-trees-live-on-earth-but-there-would-be-twice-as-many-without-humans-46914 (26.4.2021).

[15] Siehe z.B. URL: theconversation.com/there-arent-enough-trees-in-the-world-to-offset-societys-carbon-emissions-and-there-never-will-be-158181 (26.5.2021).

[16] Siehe Fajardy et al., 2019.

[17] Auf technische Ansätze, bei denen auf direkte Abscheidung von CO2 aus der (Ab-)Luft und anschliessende geologische Speicherung gesetzt wird, soll an dieser Stelle nicht vertieft eingegangen werden. Abgesehen vom grundsätzlich sehr viel geringeren Flächenbedarf und den dadurch vergleichsweise geringeren entwicklungspolitischen Aspekten, stellen sich natürlich dieselben Grundsatzfragen in Bezug auf Legitimität und sozioökonomische Sinnhaftigkeit von Senken gegenüber Reduktionsmassnahmen. Auch stecken technisch-geologische Ansätze noch in den Kinderschuhen, was viele Fragen, insbesondere in Bezug auf den Energie- und Ressourcenbedarf, offenlässt.

[18] Vgl. auch Enzyklika Laudato Sí von Papst Franziskus — über die Sorge für das gemeinsame Haus (Rom, 24. Mai 2015): «171. Die Strategie eines An- und Verkaufs von ‹Emissionszertifikaten› kann Anlass zu einer neuen Form von Spekulation geben und wäre einer Reduzierung der globalen Ausstossung von umweltschädlichen Gasen nicht dienlich. Dieses System scheint eine schnelle und einfache Lösung zu sein, die den Anschein eines gewissen Umweltengagements besitzt, jedoch in keiner Weise eine radikale Veränderung mit sich bringt, die den Umständen gewachsen ist. Vielmehr kann es sich in einen Behelf verwandeln, der vom Eigentlichen ablenkt und erlaubt, den übermässigen Konsum einiger Länder und Bereiche zu unterstützen.»

[19] Gold Standard (18. Feb. 2021).

[20] Brunner et al., 2019.

[21] Siehe z.B. Staudenmann, 2019, und Lottje, 2020.

[22] Siehe z.B. URL: https://www.eda.admin.ch/deza/de/home/aktivitaeten_projekte/projekte-fokus/projektdatenbank.html/content/dezaprojects/SDC/en/2013/7F08527/phase2.html (24.4.2021)

[23] Burkhard, Medilanski, 2020.

[24] Siehe Anhang 20 der am 14.4.2021 vorgelegten CO2-Verordnung, S. 134.

[25] Ebd.

[26] Mobjörk et al., 2020.

[27] Siehe dazu z.B. Infras, 2018.

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