Klima(aussen)politische Fragezeichen

Eine Einschätzung der neuen, langfristigen Klimastrategie der Schweiz aus globaler Perspektive

Juerg Staudenmann
6 min readFeb 9, 2021

In der langfristigen Klimastrategie bekennt sich der Bundesrat zur globalen Klimaverantwortung und fasst den folgerichtigen Grundsatz, auch Treibhausgase im Schweizer Klimafussabdruck ausserhalb der Landesgrenzen zu reduzieren. Gleichzeitig sollen jedoch ausländische Treibhausgas-Senken auch dazu dienen, die inländische Treibhausgas-Bilanz bis 2050 auszugleichen («Netto-null-Ziel»). Das wirft grundlegende Fragen auf: Wie und wo (in der Welt) sollen Millionen Tonnen schweizerische CO2-Äquivalente sicher und langfristig eingelagert werden? Und wie sollen Massnahmen im Ausland finanziert werden?

Die Strategie nährt die Befürchtung, dass diese Verantwortung zunehmend der Internationalen Zusammenarbeit aufgebürdet wird.

Am 27. Januar stellte der Bundesrat die seit Langem und mit Spannung erwartete Klimastrategie der Schweiz bis zum Jahr 2050 vor. Mit dem Pariser Klimaübereinkommen verpflichteten sich 2015 alle Länder, bis 2020 darzulegen, wie sie bis spätestens Mitte des Jahrhunderts dazu beitragen, die Treibhausgase weltweit auf «netto-null» zu senken; was bedeutet, ein Gleichgewicht zwischen Emissionsquellen und -senken herzustellen.

Im der vorgelegten Strategie bekräftigt der Bundesrat sein 2019 beschlossenes Ziel, «die Treibhausgasbilanz der Schweiz spätestens im Jahr 2050 [auszugleichen] (Netto-Null)». Trotz des expliziten Bekenntnisses, dass «aus wissenschaftlicher Sicht die Reduktion der globalen Treibhausgasemissionen auf Netto-Null zwingend [ist], um die globale Erwärmung unter der kritischen Schwelle zu halten», umfasst das nun festgeschriebene Netto-Null-Ziel jedoch explizit nur «die Emissionen innerhalb der Schweizer Landesgrenzen».

Demgegenüber anerkennt der Schweizer Bundesrat, «dass rund zwei Drittel der Treibhausgasfussabdrucks der Schweiz im Ausland anfallen» [1]. Er fasst daher folgerichtig — und durchaus lobenswert —als Grundsatz für die Schweizer Klimapolitik der kommenden 30 Jahre, dass «die Emissionen über die gesamten Wertschöpfungsketten reduziert» werden müssen.

Mit welchen Massnahmen konkret Emissionen im Ausland reduziert werden sollen, bleibt indes offen. Zudem verweist der Bund auf einen «Bedarf an negativen Emissionen, der zum Ausgleich der verbleibenden [inländischen] Restemissionen voraussichtlich notwendig sein wird». Dieser wird mit 7 bis 12 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente (7–12 Mt CO2eq) beziffert; also bis zu einem Drittel der derzeitigen Inlandemissionen. Weil jedoch die natürlichen Senken und Kapazitäten für die geologische Speicherung im Inland begrenzt seien, geht der Bundesrat davon aus, dass die Schweiz «auch auf den Zugang zu ausländischen Lagerstätten angewiesen sein» wird.

Schweizer Emissionssenken im Ausland?

Mit anderen Worten: Trotz Eliminierung von Treibhausgas-Emissionen in sämtlichen Sektoren sollen selbst 2050 immer noch Millionen von Tonnen CO2eq durch technische oder natürliche Treibhausgas-Senken im Ausland ausgeglichen werden. Der Bundesrat stellt im selben Strategiepapier jedoch auch fest, dass «das Potenzial für Massnahmen im Ausland» rasch abnehmen wird, weil die Treibhausgase bis 2050 weltweit eliminiert werden müssen. Und dass auch die «Bereitschaft, anderen Ländern anrechenbare Reduktionsmöglichkeiten günstig abzutreten» sinken werde.

In der Tat haben bereits über 60 Länder Netto-Null-Ziele beschlossen — die meisten notabene ohne Kompensationsabsichten jenseits ihrer Landesgrenzen. Sie, aber auch einkommensschwache Länder, werden sämtliche Emissionsminderungen, die in ihrem eigenen Land erreicht werden können, selber benötigen um ihre eigenen Klimaziele zu erreichen. Ferner versprachen bereits über 1'100 Unternehmen, knapp 500 Städte sowie Bildungsinsitute und Grossinvestoren ihre (zum Teil historischen) Emissionen durch Wiederaufforstungen oder technische Negativemissions-Technologien zu «kompensieren». Da stellt sich die unweigerliche Frage, auf welchen Ländereien all dieser Kohlenstoff eliminiert und eingelagert werden soll. Insbesondere bei «naturbasierten Ansätzen» — wie Aufforstungen oder Wiedereinstauungen von trockengelegten Mooren — drohen unweigerlich neue Konflikte aufgrund anderer Landnutzungsansprüchen, der Ernährungssicherheit oder verletzter Landrechte ansässiger und indigener Bevölkerungen.

Zur Frage, wo konkret und mit welchen ausländischen Treibhausgas-Senken die Millionen Tonnen «Schweizer Restemissionen» aus dem Inland und den fast doppelt so klimaintensiven Wertschöpfungsketten dauerhaft eingelagert werden sollen, kommt die Frage nach der dafür notwendigen Finanzierung.

Entwicklungszusammenarbeit zur Reduktion von Schweizer Emissionen?

Der explizite Grundsatz, dass die Schweiz «ihre klimapolitische Verantwortung wahr[nimmt]» und daher die Emissionen «über die gesamten Wertschöpfungsketten», und damit zum ersten Mal in der Schweizer Klimapolitik über die Landesgrenzen hinaus, reduzieren will, ist gewiss zu begrüssen. In der Frage, mit welchen konkreten Massnahmen der Klimafussabdruck im Ausland reduziert werden soll, bleibt die Strategie vage. So sollen die Rahmenbedingungen so gestaltet werden, «dass die Produktion und die Nachfrage von Gütern und Dienstleistungen entlang der gesamten Wertschöpfungsketten die Umwelt möglichst wenig belasten und zu einem möglichst geringen Treibhausgasausstoss führen.» Bund, Kantone und Gemeinden sollen «für die Schonung der natürlichen Ressourcen» sorgen und «Ansätze im Bereich der Kreislaufwirtschaft [stärken]».

Vergleichsweise konkret wird die langfristige Klimastrategie hingegen in Bezug auf die Internationale Zusammenarbeit (IZA): Sie engagiere sich «unter anderem dafür, die Emissionen in den Wertschöpfungsketten im Ausland zu reduzieren». Denn die Schweiz solle gemäss revidiertem CO2-Gesetz «auch einen Beitrag zur Reduktion der Auslandsemissionen» leisten; und zwar — so die neue Strategie — «im selben Umfang wie diese von der Schweiz verursacht werden.»

Diese Aussage ist gleich in dreifacher Weise höchst problematisch: Zum einen steht im besagten CO2-Gesetz lediglich, dass Emissionsminderungen im Ausland «möglichst den von der Schweiz im Ausland mitverursachten Emissionen entsprechen» sollen. Zum anderen würde die Reduktion des gesamten, derzeit fast doppelt so grossen Ausland-Fussabdrucks der Schweiz in die Milliarden gehen; und damit den Rahmen die Entwicklungshilfe, des budgetmässig bedeutendsten Arm der IZA, sprengen.

Drittens kann es auch gar nicht Sinn und Zweck der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) sein, fortan Emissionen in Schweizer Wertschöpfungsketten anstatt Armut und Ungleichheit in Entwicklungsländern zu reduzieren. Die knappen Mittel der EZA in zunehmendem Masse als Instrument und Finanzierungsquelle zur Verringerung des Schweizer Klimafussabdruckes einzuetzen, und nicht wenigstens zur Unterstützung der Ärmsten und Meistbetroffenen im globalen Süden im Kampf gegen die (notabene nicht selbst verschuldete) Klimakrise, widerspricht dem Entwicklungshilfegesetz.

Ist zu befürchten, dass der Bundesrat mit der neuen Klima-Langzeitstrategie die Verantwortung für die Eliminierung von Emissionen in unseren Zulieferketten der IZA, und damit die Kosten für Auslandmassnahmen den zwei bedeutendsten aber stagnierenden IZA-Rahmenkrediten der Deza und des Seco aufgebürdet?

Die Langzeitstrategie spricht davon, dass «die Ressourcen des IZA im Bereich Klimawandel […] schrittweise von 300 Millionen Franken pro Jahr (2017–2020) bis Ende 2024 auf rund 400 Millionen Franken pro Jahr erhöht [werden]» sollen. Ohne eine entsprechende Aufstockung der Entwicklungsgelder bedeutet dies, wie andernorts bereits mehrfach kritisiert, dass bis 2024 fast 20% der gesamten Budgets der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) und des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) für Klimaprojekte reserviert sind [2].

Von einer Aufstockung der Entwicklungsbudgets, die noch immer deutlich unterhalb der internationalen Ziellinie von 0.7% des Brottonationalen Einkommens (BNE) liegt, ist weder in der Strategie noch in der Bundespolitik sonst die Rede. Und auch neue, zusätzliche Finanzquellen sind gemäss Langzeitstrategie nicht vorgesehen; abgesehen von einer unspezifischen Hoffnung auf künftig verstärkte private Ausland-Investitionen.

Bemerkens- (und vor alem bedauerns-)werter Weise bleibt auch der neue Klimafonds des revidierten CO2-Gesetzes im Zusammenhang mit Auslandmassnahmen unerwähnt. Dabei wurde er genau dafür eingerichtet, um aus den künftigen Flugticket- und CO2-Abgabe unter anderem die Finanzierung von zusätzlichen Emissionsminderungsmassnahmen zu ermöglichen. Grundsätzlich eröffnet dies die seit langem geforderte Möglichkeit, Klimaschutz im Ausland verursachergerecht zu finanzieren; und die unterdotierten Rahmenkredite der Entwicklungszusammenarbeit zu entlasten.[3]

Fazit

  1. Die Klima-Langzeitstrategie bekennt sich zur globalen Gesamtverantwortung und will den Klimafussabdruck der Schweiz auch ausserhalb der Landesgrenzen reduzieren. Dies ist sehr zu begrüssen, auch wenn die Strategie in Bezug auf konkrete Ansätze und Massnahmen im Ausland vage bleibt.
  2. Der Bundesrat lässt offen, wie er «unvermeidbare Restemissionen» aus dem Inland und den weltweiten Wertschöpfungsketten mittels (ausländischer) Senken ausgleichen will.
  3. Als Konsequenz der Anerkennung ihrer globalen Klimaverantwortung muss die Schweiz ihre Klimafinanzierung fortan am anteilmässigen Klimafussabdruck von rund 0.7% aller wohlhabenden Staaten bemessen.
  4. Die Rolle, die der Entwicklungszusammenarbeit bei der Reduktion des Schweizer Klimafussabdrucks zugeschrieben wird, erscheint in Bezug auf ihr Mandat sowie der dafür zur Verfügung stehenden Finanzmittel höchst fraglich.
  5. Für Klimamassnahmen ausserhalb der Landesgrenzen sind daher dringend andere Instrumente und zusätzliche, verursachergerechte Finanzierungsquellen notwendig.
  6. Die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit darf nicht zu einem Instrument zur Erreichung des langfristigen Schweizer Klimaziels umfunktioniert werden; schon gar nicht, solange sie nicht gemäss internationaler Vereinbarung mit wenigstens 0.7% des BNE alimentiert wird.

[1] Das Bundesamt für Statistik (BfS) legte im Februar 2018 eine Pilotrechnung des Schweizer Treibhausgas-Fussabdrucks nach der Methodik der volkswirtschaftlichen Gesamtkostenrechnung vor. Demnach beliefen sich die Schweizer Treibhausgasemissionen 2015 auf insgesamt 116,2 Millionen Tonnen CO2--Äquivalente. DIes beinhaltet neben dem inländischen Ausstoss “auch die Emissionen, die im Ausland bei der Herstellung von für die Schweiz bestimmten Gütern und Dienstleistungen entstehen”. Diese ausländischen Emissionen machten 2015 mit 76,1 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten fast zwei Drittel des gesamten Fussabdrucks der Schweiz aus.

[2] Siehe dazu «Klimawelle bedroht Entwicklungszusammenarbeit» von März 2020.

[3] Siehe dazu das ausführliche Alliance Sud-Positionspapier «Klimagerechtigkeit und internationale Klimafinanzierung aus entwicklungspolitischer Sicht».

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